Hintergrund und Notwendigkeit
Im März 2024 hat der Rat der Europäischen Union eine neue Verordnung zu kritischen Rohstoffen verabschiedet, um die Versorgungssicherheit und die strategische Autonomie der EU zu stärken. Diese Entscheidung ist eine Reaktion auf die prognostizierte exponentielle Zunahme der Nachfrage nach Seltenen Erden und anderen kritischen Rohstoffen, die für den Übergang zu sauberen Energiesystemen und technologischen Fortschritt unerlässlich sind. (1)
Die Umsetzung
Dieses Regelwerk zielt darauf ab, die Veredelung, Verarbeitung und das Recycling von kritischen Rohstoffen innerhalb Europas zu fördern. Konkret sollen künftig einzelne Drittstaaten nicht mehr als 65 Prozent des EU-weiten Bedarfs an besonders wichtigen Rohstoffen decken dürfen. Dies betrifft eine Liste von 17 strategischen Rohmaterialien, darunter Lithium, Kobalt und Silizium. Insgesamt werden 34 Rohstoffe als kritisch eingestuft.
Bis 2030 sollen mindestens 10 Prozent des Bedarfs an kritischen Rohstoffen innerhalb der EU gewonnen, 40 Prozent verarbeitet und 25 Prozent recycelt werden. Zur Förderung privater Investitionen sollen wirtschaftliche Anreize, zentrale Anlaufstellen für Unternehmen sowie schnelle und einfache Genehmigungsverfahren mit klaren Fristen für nationale Behörden geschaffen werden. (2)
Die Herausforderungen
Für die Pläne der EU gibt es durchaus Kritik aus der Wissenschaft. Hadassah Arian, Guillaume de Brier und Lotte Hoex argumentieren in einem IPIS-Briefing, dass die EU-Politik zu kritischen Rohstoffen einen inhärenten Widerspruch enthält. Die angestrebte Energiewende verlagert die Abhängigkeit von fossilen zu mineralischen Ressourcen. Dies führt zu einem erhöhten Bedarf an Rohstoffen für grüne Technologien, die zwar CO2-neutral in der Nutzung, aber CO2-intensiv in der Produktion sind. Zudem ignorieren die EU-Rohstoffpläne und der Green Deal weitgehend die sozialen und menschenrechtlichen Risiken des Rohstoffabbaus. Eine umfassende Nachhaltigkeitsbewertung müsse die gesamte Lieferkette berücksichtigen. (3)
Patrice Christmann kritisiert in der Zeitschrift Mineral Economics, dass die EU lange Zeit Entwicklungszusammenarbeit und Freihandel priorisiert hat, wodurch die Dominanz Chinas als Rohstofflieferant und die damit verbundene eigene Verwundbarkeit unterschätzt wurden. Trotz Fortschritten in Forschung und Entwicklung seit dem G8-Gipfel 2007 hat sich die Abhängigkeit von Drittstaaten verstärkt. Der CO2-intensive Abbau und die Verarbeitung kritischer Rohstoffe außerhalb der EU, insbesondere in China, widersprechen den ökologischen Zielen der EU. Die Nutzung heimischer Ressourcen nach hohen sozialen und ökologischen Standards und die Förderung der Kreislaufwirtschaft seien daher unerlässlich.
Neben mangelnder Kreislaufwirtschaft und spielen auch Einfuhrbeschränkungen aus Asien ein Rolle. Im vergangenen Sommer begann China, die Ausfuhr der Seltenen Erden Gallium und Germanium zu beschränken, die für die Herstellung von Halbleitern verwendet werden, die in modernen Solarzellen und militärischen Anwendungen Verwendung finden. Diese Metalle stehen auch auf der Critical Raw Materials Liste der EU. Obwohl dies als Reaktion auf den westlichen Ausfuhrstopp von Mikrochips angesehen wurde, zeigen Zollstatistiken, dass China wieder mit dem Export begonnen hat. Die EU importiert auch eine signifikante Menge ihres Borbedarfs aus der Türkei und einen Großteil ihres Platinbedarfs aus Südafrika. Während China der Hauptlieferant für kritische Rohstoffe der EU ist, bezieht die EU auch einige Rohstoffe aus der eigenen Region sowie aus anderen Ländern wie Polen, Frankreich, Spanien und Finnland. Die Sicherung der Rohstoffverfügbarkeit ist auch für Österreich von großer Bedeutung, und es wurden bereits Initiativen gestartet, um die heimische Verfügbarkeit kritischer Rohstoffe für die industrielle und technologische Entwicklung zu untersuchen. (4)
Insgesamt ist die Stärkung der Versorgungssicherheit und der strategischen Autonomie der EU in Bezug auf kritische Rohstoffe ein komplexer Prozess, der sowohl politische als auch wirtschaftliche Herausforderungen mit sich bringt. Die erfolgreiche Umsetzung erfordert eine ausgewogene Berücksichtigung ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Aspekte sowie eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Industrie und Wissenschaft. (5)
- (1) Rat der Europäischen Union: Ein EU-Gesetz zu kritischen Rohstoffen für die Zukunft der EU‑ Abgerufen von: https://www.consilium.europa.eu/de/infographics/critical-raw-materials/
- (2) Tagesschau: EU will Rohstoffversorgung breiter aufstellen. Abgerufen von: https://www.tagesschau.de/ausland/eu-rohstoffversorgung-100.html
- (3) Stiftung Wissenschaft und Politik: Das Rennen um die Rohstoffe. Abgerufen von: https://www.swp-berlin.org/10.18449/2022ZS01/
- (4) Industriemagazin: Die Lage am Rohstoffsektor: EU will sich Lieferketten sichern. Abgerufen von: https://industriemagazin.at/news/die-lage-am-rohstoffsektor-eu-will-sich-lieferketten-sichern/
- (5) Europarl: Nachhaltige Versorgung mit kritischen Rohstoffen ist entscheidend für die EU-Industrie. Abgerufen von: https://www.europarl.europa.eu/topics/de/article/20211118STO17611/nachhaltige-versorgung-mit-kritischen-rohstoffen-entscheidend-fur-industrie