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Greenwashing 2.0 – Warum wir uns mit „nachhaltigem Konsum“ oft selbst belügen

Ein grünes Blatt auf der Verpackung, ein Bio-Siegel, ein Werbespot mit glücklichen Kühen auf grünen Wiesen – und schon fühlen wir uns beim Einkauf ein bisschen besser. Doch wie viel davon ist echte Nachhaltigkeit, und wie viel davon ist Illusion?

In Zeiten zunehmender Klimakrisen und sozialer Ungleichheiten wächst der Wunsch, „richtig“ zu konsumieren. Viele von uns versuchen, ihren Alltag umweltfreundlicher zu gestalten: Wir kaufen Bio-Produkte, greifen zu Papiertüten statt Plastik oder investieren in faire Mode. Doch zwischen gutem Willen und tatsächlicher Wirkung klafft oft eine beunruhigende Lücke. Der Begriff „Greenwashing“ ist längst bekannt – aber was passiert, wenn wir selbst Teil davon werden?

Die Psychologie des „guten Gewissens“

Unsere Konsumentscheidungen basieren selten nur auf Fakten. Sie sind emotional, situativ und oft unbewusst. Studien zeigen: Wenn Produkte mit Schlagwörtern wie „grün“, „natürlich“ oder „klimaneutral“ versehen sind, sind wir eher bereit, sie zu kaufen – auch wenn sie teurer sind oder unsicher, was genau dahintersteht.

Dieses Phänomen nennt sich „moral licensing“: Sobald wir etwas „Gutes“ tun – etwa Ökostrom beziehen oder Fairtrade-Kaffee kaufen – fühlen wir uns moralisch entlastet und erlauben uns anschließend Verhalten, das weniger nachhaltig ist („Ich habe ja heute schon was für die Umwelt getan“). So wird nachhaltiger Konsum zur Beruhigungspille, nicht zum Wendepunkt (1).

Label-Wirrwarr – Zwischen Orientierung und Täuschung

Ein Blick ins Supermarktregal genügt: Labels und Siegel wohin das Auge blickt. Doch nicht alle halten, was sie versprechen. Während staatlich regulierte Zertifikate wie das EU-Bio-Siegel strenge Kriterien haben, tummeln sich daneben viele intransparente oder firmeneigene Logos ohne klare Standards (2).

Problematisch ist, dass viele Konsument:innen den Unterschied nicht kennen – oder bewusst ausblenden. Das grüne Design eines Produkts wird zum Ersatz für echte Information. Dabei wird Nachhaltigkeit zur Marketingstrategie degradiert. Ein Beispiel: Ein Fast-Fashion-Riese bewirbt eine „Conscious Collection“ mit recycelten Stoffen – während gleichzeitig jede Woche neue Kollektionen auf den Markt geworfen werden.

Greenwashing 2.0 bedeutet, dass nicht nur Unternehmen ein geschöntes Bild von Nachhaltigkeit erzeugen – wir als Konsument:innen machen aktiv mit, weil es unser Selbstbild stärkt. Es ist einfacher, ein „nachhaltiges Produkt“ zu kaufen, als den eigenen Lebensstil grundlegend zu hinterfragen.

Gefühlte Nachhaltigkeit ersetzt nicht systemische Veränderung

Der Haken: Viele dieser Konsumentscheidungen verändern das System kaum. Ein „klimaneutraler“ Versand rettet nicht das Klima, wenn gleichzeitig das Bestellverhalten zunimmt. Bioplastik löst das Müllproblem nicht, wenn die Verpackung trotzdem nach einmaliger Nutzung im Restmüll landet.

Gefühlte Nachhaltigkeit ist wie ein Placebo: Sie beruhigt – ohne die eigentlichen Ursachen zu bekämpfen (3). Nachhaltiger Konsum darf nicht bedeuten, nur anders zu konsumieren, sondern auch weniger zu konsumieren. Weniger Kleidung, weniger Elektronik, weniger Wegwerfmentalität.

Was tun? Zwischen Verantwortung und Realität

  • Niemand kann heute komplett „perfekt nachhaltig“ leben – das ist unrealistisch und überfordernd. Doch wir sollten uns fragen:
  • Brauche ich das Produkt wirklich?
  • Wer profitiert von meinem Kauf – Menschen, Umwelt oder vor allem ein Konzernimage?
  • Gibt es Alternativen wie Leihen, Tauschen oder Second Hand?

Transparente Informationsportale (z. B. Siegelklarheit.de) helfen, Labels besser einzuordnen. Gleichzeitig braucht es politischen Druck, Greenwashing zu regulieren und echte Nachhaltigkeit sichtbar zu machen – auch jenseits des Marketings.

Fazit

Nachhaltiger Konsum beginnt nicht beim Einkaufswagen, sondern im Kopf. Es geht nicht darum, perfekt zu sein – sondern ehrlich mit sich selbst. Greenwashing 2.0 zeigt uns: Die Grenze zwischen Täuschung und Selbsttäuschung ist oft fließend. Aber wer bereit ist, genauer hinzusehen, entdeckt nicht nur die Schwächen des Systems, sondern auch die eigenen Hebel zur Veränderung.

 

(1) Barb. (2024, 4. Juli). Moralische Lizenzierung. Nachhaltig in Graz. https://nachhaltig-in-graz.at/moralische-lizenzierung/

(2) Der Greenpeace Gütezeichen-Guide für Lebensmittel. https://greenpeace.at/ratgeber/guetezeichen-ergebnisse/#:~:text=EU%2DBio%20%E2%80%93%20vertrauensw%C3%BCrdig,f%C3%BCr%20den%20Bio%2DAnbau%20dar.

(3) Konrad, A. (2022, 7. November). Gefühlte Nachhaltigkeit – Sinn und Gesellschaft. Sinn und Gesellschaft. https://sinnundgesellschaft.de/gefuehlte-nachhaltigkeit/