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Wer erntet mein Obst und Gemüse?

Ein Überblick über die Rolle von Erntehelfer*innen in Europa

Betrachten wir das frische und schön sortierte Obst und Gemüse in heimischen Supermärkten, stellt man sich hin und wieder die Frage, woher dieses kommt. Durch die verpflichtende Angabe des Ursprungslandes von frischem Obst und Gemüse ist diese Frage leicht und schnell vor Ort im Supermarkt geklärt. Fragt man sich nun, von wem es angebaut oder vielleicht sogar wer es geerntet hat, lässt sich diese Frage schon nicht mehr so einfach und wahrscheinlich gar nicht eindeutig beantworten. Forscht man etwas nach, wird man aber schnell auf sogenannte Erntehelfer*innen aufmerksam werden. Und genau darum geht es in dem heutigen Blogeintrag. Wir beleuchten die für Konsument*innen oftmals unsichtbaren Arbeitskräfte.

 

Saisonarbeit in der Landwirtschaft gibt es weltweit in den unterschiedlichsten Formen, mit verschiedenen Herausforderungen. Beispielsweise können junge Erwachsene im Zuge von Work & Travel kurze Einblicke in die landwirtschaftliche Arbeit bekommen. Oder Saisonarbeit wird durch sogenannte bilaterale “Entwicklungshilfeabkommen”, wie das zwischen den USA und Haiti vereinfacht bzw ermöglicht. Nach dem Erdbeben in Haiti 2010 vereinfachten die USA den Zugang zu temporären Arbeitsvisa im Landwirtschaftssektor für Haitianer*innen, mit dem Gedanken ihnen eine Einkommensmöglichkeit zu erleichtern (1). Im Folgenden wollenwir jedoch auf die landwirtschaftliche Saisonarbeit im europäischen Kontext blicken, die mit temporärer Migration verbunden ist. Also auf jene Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, die entweder aus anderen EU-Mitgliedstaaten oder aus sogenannten Drittstaaten (Länder, die keine Mitgliedstaaten der EU sind) kommen.

 

Schätzungen zufolge gibt es in Europa jährlich ca. 2 Million Saisonarbeiter*innen aus EU-Mitgliedsstaaten und ca. 400.000 aus Drittstaaten. Vor allem Saisonarbeiter*innen aus Drittstaaten sind mit prekären Arbeitsbedingungen konfrontiert. Rund 70% der Saisonarbeiter*innen aus Drittstaaten sind nicht unter der Saisonarbeiterrichtlinie der EU beschäftigt und unterliegen daher nicht deren Bestimmungen in Bezug auf Arbeitsrechte, sozialer Absicherung und der Bekämpfung von Ausbeutung und Missbrauch (2). Aus EU-Ländern werden vor allem Saisonarbeiter*innen aus Bulgarien und Rumänien rekrutiert. Aus Drittländern stellen die Ukraine und Marokko die größte Gruppe an Saisonarbeiter*innen dar. Saisonarbeiter*innen aus Drittländern findet man vor allem in Frankreich, Spanien und Italien.

 

Mit den oben genannten Zahlen ist jedoch vorsichtig umzugehen und die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Viele Saisonarbeiter*innen bleiben undokumentiert und unerfasst, da es auf europäischer Ebene kein einheitliches Erfassungssystem gibt, um eine genaue Darstellung von Saisonarbeiter*innen in der Landwirtschaft zu ermöglichen. Beispielsweise kommen jedes Jahr rund 3.000 bis 5.000 Saisonarbeiter*innen, vorwiegend aus Thailand, mit einer speziellen Arbeitserlaubnis für Beerenpflücker*innen und -pflanzer*innen nach Schweden. Diese Arbeitserlaubnis gilt nur für Saisonarbeiter*innen, die von schwedischen Unternehmen eingestellt werden. Ein Großteil der Arbeiter*innen werden jedoch von Arbeitsvermittlungsagenturen mit Sitz in Thailand angestellt. Sie sind dadurch nicht offiziell in Schweden beschäftigt und werden somit nicht in der Statistik erfasst (3).

 

Um die Situation der Saisonarbeitskräfte zu verbessern, fordern Organisationen wie der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen strengere Kontrollen, faire Löhne und bessere Unterkünfte für Saisonarbeiter*innen in der Landwirtschaft. Initiativen wie das EU-Saisonarbeitssystem zielen darauf ab, Arbeitsrechte zu stärken. Weiters versuchen sie die Lücke in der Dokumentation von Saisonarbeiter*innen, die es auf EU-Ebene gibt zu schließen (4) (5).

 

Literaturverzeichnis

(1) https://izajold.springeropen.com/articles/10.1186/s40175-016-0070-x

(2) https://www.eesc.europa.eu/sites/default/files/files/qe-05-23-186-en-n.pdf

(3) https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2021/689347/EPRS_BRI(2021)689347_EN.pdf

(4) https://www.eesc.europa.eu/en/news-media/news/harvesting-hope-realities-seasonal-and-migrant-workers-agri-food-value-chain

(5) https://migrationnetwork.un.org/resources/seasonal-migration-and-child-labour-agriculture-background-paper