Evolutionäre Relevanz und frühe Entwicklungen
Fette und Öle spielen eine zentrale Rolle in der Menschheitsgeschichte – nicht nur als essentielle Energiequelle, sondern auch als Treiber von Industrialisierung, Handel und Expansion. In der Natur sind Fette die effizienteste Methode der Energiespeicherung, da sie mehr als doppelt so viele Kalorien pro Gramm liefern wie Kohlenhydrate oder Proteine. Der Mensch machte sich dies in Form hoher körpereigener Fettreserven zu nutze, welche es ermöglichten, längere Hungerperioden zu überbrücken und Fette als wichtiges Nahrungsmittel in frühen Gesellschaften prägten (1). Somit spielen Fette und Öle nicht nur evolutionär eine wichtige Rolle, sondern auch in der neueren Geschichte im Wettkampf um wirtschaftliche und militärische Stärke.
Über Jahrhunderte hinweg waren tierische Fette die primäre Fettquelle. Sie hatten den Vorteil, direkt durch die Tiere transportiert zu werden. Das Fett hat einen höheren Schmelzpunkt, kann also in fester Form gelagert werden und bedarf im Gegensatz zu pflanzlichen Ölen keines aufwendigen Extraktionsprozesses. Dieser energetisch aufwendige Schritt machte Pflanzenöle erst relativ spät in der menschlichen Geschichte großräumig zugänglich: Erste Belege für größer dimensionierte Anlagen zum Pressen von Olivenöl kommen stammen aus dem 6. Jhdt. n. Chr, was die weite Verfügbarkeit auch als Lebensmittel ermöglichte. Zusätzlich oxidierten natürliche Pflanzenöle – werden also „ranzig“, was die Haltbarkeit und Transportfähigkeit einschränkte. Dennoch entwickelte sich beispielsweise Olivenöl zum viel gehandelten und relevanten Wirtschaftsgut im Mittelmeerraum, indem es etwa beispielsweise Basis für Brennstoffe und Seifen war. (2,3)
Die Nachfrage wächst
Mit der industriellen Revolution und dem rasanten Bevölkerungswachstum im 19. Jahrhundert stieg die Nachfrage nach Fetten und Ölen rapide an, da sie sowohl als Nahrungsmittel als auch vermehrt als technischer Rohstoff für diverse Anwendungen benötigt wurden. Diese erhöhte Nachfrage konnte übergangsweise vom Walfang gedeckt werden. Schon im 17. Jahrhundert intensivierte sich der Walfang enorm, da Walöl aufgrund seines hohen Energiegehalts, seiner chemischen Eigenschaften und der Ergiebigkeit zur Herstellung von speziellen Leuchtmitteln und Schmierstoffen genutzt wurde, wie beispielsweise die „Walratkerze“, welche ein besonders sauberes abbrennen bei gleichzeitig unerreicht heller Flamme auszeichnete (4, 5). Eine besonders wichtige Nutzung fand Walöl in der Produktion von Dynamit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, da es als Grundlage für die Herstellung vom dafür notwendigen Nitroglyzerin diente. Mit der Entdeckung und Verbreitung fossiler Brennstoffe verlor Walöl zwar gesamtwirtschaftlich an Bedeutung, doch die Nachfrage nach Walöl erreichte in den 1960er Jahren ihren Höhepunkt. Dies führte zu einer dramatischen Überjagung der Wale, mit langfristigen negativen Auswirkungen auf Walpopulationen und marine Ökosysteme (6).
Die fortschreitende Industrialisierung und das rasante Bevölkerungswachstum im 19. Jahrhundert führten zu einem enormen Anstieg der Nachfrage nach allen Formen von Fetten und Ölen. Auch wenn fossile Öle in einigen Bereichen tierische Öle wie Walöl verdrängten, konnte durch diese der vor allem die zunehmende Nahrungsknappheit nicht gestillt werden. Die direkte Nutzung pflanzlicher Fette bot eine effizientere Alternative zur Tierhaltung, die vergleichsweise ressourcenintensiv ist, und waren somit Teil einer Lösung, um den steigende Bedarf nach Nahrungsmittel zu decken.
Pflanzliche Fette verändern die Nahrungsmittelindustrie
Die Akzeptanz pflanzlicher Fette auf dem Markt in Form industrieller Produkte hing jedoch stark von technischen Fortschritten ab. Wissenschaftler:innen und Chemiker:innen entwickelten Verfahren, um die chemischen Bestandteile von Fetten so zu verändern, dass sie in Geschmack und Haltbarkeit tierischen Fetten ähnelten. Ein frühes Beispiel dafür war die Erfindung von Margarine, die als preiswerte und haltbare Alternative zu Butter diente und ursprünglich aus tierischen Fetten bestand. Diese Entwicklungen leiteten einen Wandel in der Nahrungsmittelproduktion und dem wissenschaftlichen Verständnis von Nahrung ein, bei dem Lebensmittel zunehmend als Kombination einzelner chemischer Komponenten verstanden wurden (7). Diese Entwicklung stieß zunächst auf Widerstand, vor allem von Interessengruppen wie beispielsweise der Milchindustrie, die eine Anti-Margarine-Kampagne starteten und sich damit in die Riege der künstlich erschaffenen Mythen und Narrative rund um Lebensmittel einreihten. Doch im Laufe der Zeit nahm das Vertrauen der Öffentlichkeit in industriell gefertigte Lebensmittel zu, auch wenn sich in der Nutzung weiterhin Klassenunterschiede zeigten (3).
Öle und Fette als kolonialer Rohstoff
Besonders Europa und Nordamerika profitierten von sogenannten „Ghost Acres“ – landwirtschaftlichen Flächen in anderen Teilen der Welt, die für die Produktion von ölhaltigen Nutzpflanzen genutzt wurden. Diese externen Anbauflächen ermöglichten es, den steigenden Bedarf an fetthaltigen Rohstoffen zu decken und damit die Industrialisierung voranzutreiben und die imperiale Expansion der Industrienationen zu unterstützen. Durch die Einfuhr von Ölfrüchten und pflanzlichen Fetten konnten europäische Länder und die USA ihre schnell wachsende Bevölkerung ernähren und damit ihre industrielle Produktion sichern.
Die Expansion der pflanzlichen Fettindustrie brachte vor allem den Ländern des Nordens Vorteile, während die Produktion und der Anbau der Rohstoffe meist im globalen Süden stattfanden. Diese Struktur spiegelt ein Muster globaler Umverteilung wieder, bei dem die Wertschöpfung in den industrialisierten Ländern konzentriert ist, während die Ressourcen und die Arbeit zur Produktion in ärmeren Ländern bereitgestellt werden. So spiegelt die Geschichte der Fette und Öle nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine geopolitische Dynamik wider, die bis heute andauert und auch die moderne Nahrungsmittelproduktion prägt (3).
Quellen:
(1) Adam Bolt, Jessica Harrop & Elliot Kirschner (2017): „A Brief History of Fat“; Videobeitrag bei SLATE https://slate.com/technology/2017/12/why-fat-is-so-important-to-the-human-body-and-why-we-hate-it.html
(2) Madhujith, Terrence & Subajiny Sivakanthan: „Oxidative stability of edible plants oils.“ In: Springer Nature, 2019.
(3) Jonathan Robins (2018): „Oil Boom“. In: Journal of World History, September 2018, Vol 29, No. 3, S. 313 – 342, https://www.jstor.org/stable/26607625
(4) Hans-Peter Kosack (1967), „Erwerbsverhältnisse. Der Walfang“. In: Die Polarforschung. Vieweg +Teubner Verlag. https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-663-02205-3_29#citeas
(5) Emily Irwin (2012): „The Spermaceti Candle and the American Whaling Industry“, EIU History 21: 45-53, https://www.eiu.edu/historia/2012Irwin.pdf
(6) The Ecological Impact of Whaling, University of Texas: https://www.esi.utexas.edu/files/045-Learning-Module-Effects-Whaling.pdf
(7) “Margarine.” The British Medical Journal, vol. 1, no. 2837, 1915, S. 855–56, http://www.jstor.org/stable/25313626