Kakao und das Auseinanderklaffen von Produktion und Konsum
Ähnlich wie Kaffee stammt Kakao (Theobroma kakao) aus den Tropen, diesmal jedoch aus Mittel- und Südamerika. Dabei gedeiht er anders als Kaffee nur im Tiefland unterhalb von 300 Höhenmetern. Vermutlich wurde er bereits von den Olmec seit 1500 vor Christus konsumiert. (1)
Erste schriftliche Nachweise fallen aber erst mit den Hochkulturen der Maya und Azteken zusammen. Sie konsumierten ihn als mit heimischen Gewürzen angereichertes Getränk in verschiedensten kulturellen und religiösen Kontexten, wobei auch über eine etwaige Verwendung von Kakaobohnen als Währung gemutmaßt wird. Bemerkenswert ist dabei, dass die Verarbeitung als weitestgehend weibliche Arbeit als gesichert gilt. Ebenso verhält es sich damit, dass in Mesoamerika der Konsum von Kakao vornehmlich den weit von den Sammelgebieten entfernt lebenden Eliten vorbehalten war. (2)
Mit der Ankunft der Spanier*innen 1502 an der Küste des heutigen Honduras dürfte Kakao auch ihnen bekannt gewesen sein. Dabei verbreitete sich rasch der Konsum von Kakaogetränken auch innerhalb der neu entstehenden Kreolgesellschaften. Hierauf gehen auch bis heute fortbestehende Diskurse um Geschlecht, Medizin und Religion in Zusammenhang mit dem Genuss von Kakao zurück. Sie zeichnen ihn mal als vornehmlich weiblich codierte, sexualisierte und sündige Praxis, mal als eine solche, die die Gesundheit und das Wohlbefinden steigert. (3)
Ab dem späten 16. Jahrhundert sollte Kakao über die Iberische Halbinsel in Europa Einzug finden. Bemerkenswert ist dabei, dass der Konsum weitgehend unverändert blieb und nur einzelne amerikanische Gewürze durch solche der Alten Welt ersetzt worden sind. Dabei wurde Kakao wie andere Kolonialwaren einem vornehmlich männlichen Publikum in Kaffeehäusern gereicht, während Frauen ihn in der häuslichen Sphäre konsumierten. Ähnlich wie Kaffee sollte er weiter zu einem beliebten warmen Morgengetränk avancieren. (4)
In diesem Zusammenhang stieg auch der Bedarf an Kakao zusehends, welcher bis spätestens 1664 praktisch ausschließlich in den Regenwäldern Südamerikas gesammelt worden ist. Dabei setzten vornehmlich portugiesische Jesuiten auf die versklavte indigene Bevölkerung, welche sich jedoch leicht der Zwangsarbeit entziehen konnten, sodass im brasilianischen Bahia die ersten Plantagen gepflanzt worden sind. Sie wurden fortan mit versklavten afrikanischen Personen bewirtschaftet. Dieses System sollte sich in den Amerikas durchsetzen, wobei der Konsum zusehends nach Europa verlagert wurde und erst relativ spät in Nordamerika mit der Unabhängigkeit der USA ein Massenphänomen geworden ist. Zugleich setzten im Rest der Amerikas Unabhängigkeitsbewegungen ein, welche den Kakaofluss in die kolonialen Zentren drosselten. Dies lag an politischen Verwerfungen mit Portugal und Spanien, aber auch daran, dass ehemals versklavte Plantagenarbeiter*innen ihre Freiheit erlangten.
Mit der Unabhängigkeit Brasiliens 1822 sollten die beiden winzigen westafrikanischen Inseln São Tomé und Príncipe bis 1910 das Epizentren der globalen Kakaoproduktion werden, wobei die Sklaverei durch Zwangsarbeit ersetzt worden ist, welche sich nur namentlich von ersterer unterschied und bis ins 20. Jahrhundert andauerte. (5)
In dieser Zeit sollte sich auch der Konsum von Kakao maßgeblich wandeln – und zwar hin zur heute bekannten Schokoladentafel. 1828 wurde in den Niederlanden die erste hydraulische Kakaopresse patentiert, welche den Flüssigkeitsanteil erheblich senken und somit die Weiterverarbeitung begünstigen konnte. 1879 wurde infolgedessen die Milchschokolade von Daniel Peter entwickelt. Die geographische Verortung dieser Neuerungen in den Beneluxstaaten beziehungsweise dem Alpenraum begünstigten eine bis heute andauernde Vormachtstellung entsprechender Unternehmen trotz mangelnder kolonialer Verbindungen nach Westafrika und in die Amerikas. Aus dieser Zeit resultieren auch alpenländische Assoziationen mit Schokolade, welche mit der imperialistischen Expansion Europas nach Afrika zum ausgehenden 19. Jahrhundert hin durch kolonial-rassistische Konnotationen ergänzt worden sind. (6)
Der eigentliche Kakaoboom in der Elfenbeinküste und in Ghana in diesem Zusammenhang ein relativ junges Phänomen, welches erst seit den 1920ern besteht und heute verstärkt durch eine wiedererstarkende beziehungsweise neu entstehende Kakaoindustrie in den Amerikas und Asien unter Druck gerät. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sollten sich vermehrt ethische Fragen um die Produktionsbedingungen um Kakao aufdrängen, ebenso wie immer mehr zwischen guter und schlechter Schokolade aufgrund von Herkünften und Kakaoanteil unterschieden wird. (7)
Festzuhalten bleibt aber, dass Kakao mehr denn Kaffee ein Rohstoff ist, der praktisch ausschließlich im Süden produziert und im Norden verzehrt wird. Diese Konsummuster wurden so aus Mesoamerika über den europäischen Kolonialismus bis hin in unsere heutigen Konsumgesellschaften fortgeschrieben.
Literaturverzeichnis
(1) Sarah Moss & Alexander Badenoch: Chocolate. A Global History. London 2009.
(2) Gabrielle Vail: Cacao Use in Yucatán Among the Pre-Hispanic Maya. In: Louis Evan Grivetti & Howard-Yana Shapiro (Hrsg.): Chocolate. History, Culture, and Heritage. Hoboken 2009. S. 3 – 16.
(3) Beatriz Cabezon, Patricia Barriga & Louis Evan Grivetti: Chocolate and Sinful Behaviors: Inquisition Testimonies. In: Louis Evan Grivetti & Howard-Yana Shapiro (Hrsg.): Chocolate. History, Culture, and Heritage. Hoboken 2009. S. 37 – 48.
(4) Sarah Moss & Alexander Badenoch: Chocolate. A Global History. London 2009.
(5) Timothy Walker: Establishing Cacao Plantation Culture in the Atlantic World: Portuguese Cacao Cultivation in Brazil and West Africa, Circa 1580–1912. In: Louis Evan Grivetti & Howard-Yana Shapiro (Hrsg.): Chocolate. History, Culture, and Heritage. Hoboken 2009. S. 543 – 560.
(6) Sarah Moss & Alexander Badenoch: Chocolate. A Global History. London 2009.
(7) Melissa Shahbandeh: Global cocoa bean production from 2020/21 to 2023/24, by country. Baltimore 2024. Online verfügbar unter https://www.statista.com/statistics/263855/cocoa-bean-production-worldwide-by-region/, zuletzt am 30.10.2024.